BUND Kreisverband
Groß-Gerau

Schutz der Mainaue in Rüsselsheim

01. Juli 2023

Aufgrund einer Klage des BUND wurde in letzter Minute das Klassikertreffen (KT) 2023 zur großen Enttäuschung von 30000 Menschen abgesagt.“

Die Grünen wollen überall den Menschen den Spaß verbieten.“

Die Wiss ist so trocken, dass die paar Autos da drauf gar nix ausgemacht hätten; 20 Jahre ging es doch gut; außerdem ist die sowieso kaputt; da gibt´s gar nix mehr zu schützen.“

So konnte man von manchen hören oder in manchen Zeitungen lesen. Tatsache ist, dass das größtenteils „alternative Fakten“ sind, „Fake news“ à la Trump. Was sind die Tatsachen? Dies zu beweisen ist kompliziert und man muss sich die Mühe machen, genau nachzulesen, wenn man nicht in das Fahrwasser populistischen Geschreis geraten will.

Doch zunächst eine Kurzversion, dann kann man nochmals genauer mehr lesen in der Folge.

Vorweg aber: Nie haben weder wir noch die Obere Naturschutzbehörde noch das Verwaltungsgericht Darmstadt das Klassikertreffen (KT) abgelehnt oder gar verbieten wollen: es ging immer ausschließlich um die Nutzung der als Landschaftsschutzgebiet seit 1987 geschützten Mainaue: unter anderem ist sie zu erhalten als Überflutungsbecken des Mains, Kohlenstoffspeicher, Lebensraum für Tier- und Pflanzenwelt und Erholungsraum für die Menschen in Rüsselsheim. Dazu der fachliche Leiter der Geschäftsstelle Untere Naturschutzbehörde Rüsselsheim mit seiner Kollegin aus dem Amt für Umwelt und Klimaschutz. Diese Stadt „hat eine Vorbildfunktion und trägt eine wesentliche Verantwortung als Eigentümerin und insbesondere als langjähriges Mitglied des Klimabündnis und Teil der hessischen Klima-Kommunen, sowie als Mitglied des Bündnisses Kommunen für biologische Vielfalt.“1

  • Zu 1: Der Bund hat wie die Obere Naturschutzbehörden (ONB) seit 2020 und verstärkt seit dem 7.3.2023 auf das gesetzliche Verbot der Nutzung der Wiese durch Großveranstaltungen wegen der Belastung der für ihre Schutzfunktion wichtigen Grasnarbe hingewiesen. Verboten hat die Veranstaltung die ONB selbsttätig am 2.6.2023 bereits. Dagegen hat die Stadt am 15.6. geklagt und ein vernichtendes Urteil eingefangen. Ohne Wissen über die Tätigkeit der ONB hat der BUND vorsorglich Klage am 14.6. eingereicht. Diese hatte sich erledigt und wurde nicht mehr verhandelt. Verantwortung für die Absage in letzter Minute trägt alleine die Stadt Rüsselsheim.
  • Zu 2: Das hängt sich an die Kampagne von BILD und CDU, dem Grünen Wirtschaftsminister Habeck den Schwarzen Peter des „Heizungshammers“ anzuhängen. Die ONB hat nach Recht und Gesetz entschieden. Außerdem ist einer der Hauptvertreter für die Nutzung der Wiese der GRÜNE Bürgermeister Grieser. Verständlich ist, dass durch die Klimakrise viele Gewohnheiten verändert werden müssen und das frustriert, wenn man nicht weiß, warum: siehe
  • Zu 3: Wiesen fallen nach der Mahd besonders in der Heißzeit, die wir jetzt erleben, ohne künstliche Bewässerung oft zunächst trocken. Die Temperaturen mit ständigen Hitzerekorden sind rasant gestiegen. Gerade in der Trockenheit ist die Grasnarbe durch Abrieb und Verschmutzung (Öltropfen beim An- und Abfahren) besonders empfindlich, auch wegen der vorherigen starken Belastung durch die Techno-Festivals. Tatsächlich aber ist die Wiese noch funktionsfähig. Ihr jetziger Zustand verlangt aber nach Naturrecht einen stärkeren und keinen schwächeren Schutz. Sie muss verbessert werden.

 

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Zu 1:

Die Stadt wurde seit 2020 und besonders seit diesem Frühjahr immer wieder von uns, dem BUND, und von der ONB darauf hingewiesen, dass es klare Verbote gibt (u .a. dass dort keine Kraftfahrzeuge fahren dürfen (Steht übrigens auch in der Straßenverkehrsordnung, so das Gericht). Es folgte ein juristischer Eiertanz der von zwei Volljuristen geleiteten Stadtverwaltung. Ohne dass die Stadt jemals eine vorgeschriebene Genehmigung erteilt hätte, hielt sie an dem noch von ihr selbst zu Beginn als unsicher bezeichneten Ziel fest, das KT schon 2023 wieder laufen zu lassen. Dass es auf der Wiese sein MUSSTE, wurde in klassischer Regierungsmanier (man erinnert sich an Frau Merkel) mit der ALTERNATIVLOSIGKEIT des alten Sicherheitskonzepts begründet. Die Alternative wäre gewesen zu warten, bis ein neues entwickelt wäre.

Warum dann aber in letzter Minute? Die Macht, das Klassikertreffen abzusagen, hat nicht der BUND. Die Stadt erhielt ca am 5.6. eine Weisung der Oberen Naturschutzbehörde (ONB), dass das KT weder erlaubt noch geduldet werden darf. Damit folgte die ONB den gesetzlichen Bestimmung einer Verordnung Hessische Mainauen von 1987. Dagegen klagte die Stadt in allerletzter Minute. Noch am 5.6. hätte die Stadt das Fest absagen können, statt für teures Steuergeld eine riesige Kanzlei als Kavallerie am 15.6. (!!) noch ins Gefecht zu schicken.

Das Urteil des Gerichts war vernichtend. Es bescheinigte der Stadt Rüsselsheim, „entgegen der Stellungnahmen des eigenen Rechtsamtes, der eigenen Unteren Naturschutzbehörde und der Oberen Naturschutzbehörde bewusst“ das „Risiko eines fehlerhaften naturschutzrechtlichen Verwaltungshandelns“2 eingegangen zu sein. Dabei habe sie „die Aufgaben nicht im Einklang mit den Gesetzen wahrgenommen.“3 Das Gericht habe auch nicht eine „komplette Absage“ verfügt, denn „ es bleibt der Stadt unbenommen, die Fahrzeuge auf anderen geeigneten Flächen abzustellen.“4 Eine erforderliche Genehmigung habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen; der Magistratsbeschluss „vom 31. Januar stellt keine Genehmigung dar, sondern ist lediglich eine politische „Absichtserklärung. Es wird noch nicht einmal die Absicht endgültig beschlossen, das Klassikertreffen bereits 2023 wieder stattfinden zu lassen.“5 Die „massiven wirtschaftlichen Folgen“ bzw. die Kosten, die die Stadt bei einer Absage der Veranstaltung zu tragen hätte, seien selbstverschuldet.“6

Der Eilantrag der Stadt gegen die Weisung war für Bürgermeister Grieser ein „Novum“7: offensichtlich war er überrascht, dass die ONB ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkam. Was steht da für eine Staatsauffassung dahinter? Der Bereich rechtsstaatlichen und verwaltungskompetenten Handelns ist damit unserer Meinung nach vielleicht knapp aber prinzipiell verlassen. Würde der Magistrat auf einer Sitzung beschließen, einen Vorgarten ohne ein rechtlich abgesichertes Planänderungsverfahren und die notwendigen vorgeschriebenen und ERST DADURCH BEKLAGBAREN Enteignungsschritte umzuwandeln, wäre das Geschrei zurecht groß. Bei der Wiese war aber aufgrund der Gewohnheit von 20 Jahren das Geschrei gegen den BUND und die „Grüne Regierungspräsidentin“ groß. Solches willkürliche Verwaltungshandeln führt womöglich auf den Pfad illiberaler Demokratie wie in Ungarn, bei allerbesten Absichten.

Zu 2:

Unbestritten ist in der Fachwelt, dass wir in einer Heißzeit leben, dem Anthropozän: dem menschengemachten Erdzeitalter. Unbestritten ist auch, dass erhebliche Teile der Erde mit einer Milliarde Menschen in den nächsten Jahrzehnten womöglich schon nicht mehr menschliches Leben ermöglichen. Bei uns ist der Anstieg der Temperaturen in den letzten 20 Jahren rasant gestiegen.8 Das ZDF titelt online: „2022 war Europas wärmster Sommer. Rekordtemperaturen, mehr Treibhausgase, heftige Wetterereignisse – 2022 war ein Jahr der Klimaextreme. Das zeigt der europäische Klima-Beobachtungsdienst Copernicus9 Die Folgen sind trockenere Böden bis zur Desertifikation, Wüstenbildung. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat kürzlich gezeigt, dass die obersten 30 cm des Bodens weltweit etwa doppelt so viel Kohlenstoff wie die gesamte Atmosphäre enthalten. Nach den Ozeanen ist der Boden die zweitgrößte natürliche Kohlenstoffsenke.“10 Das gilt natürlich nur, wenn die Böden gepflegt werden, d.h. ihre Fähigkeit auch Feuchtigkeit zu speichern verstärkt wird. Die Haltung, „Mächt nix, die Wiss is eh kaputt (Der Magistrat: „Schutzzweck ist entfallen“); dann noch mal ordentlich druff.“ – diese Haltung wiederholt für mich ein spätrömisches Orgienverhalten.

Zu 3:

Nicht so der Fachliche Leiter der Unteren Naturschutzbehörde und der Naturschutzbeirat der Stadt Rüsselsheim, die beide die Nutzung der Wiese für das KT abgelehnt haben. Die Temperaturen mit ständigen Hitzerekorden sind so rasant gestiegen, dass der oberste Rüsselsheimer Fachmann für Naturschutz in der Unteren Naturschutzbehörde seine frühere Einschätzung revidiert hat und keine Genehmigung für das Klassikertreffen in Aussicht gestellt hat. Immer weiter so, weil „et ja immer noch jut jejonge is“?

Das Umweltbundesamt teilt mit: „Der langfristige lineare Temperaturanstieg im Sommer entspricht für den Zeitraum 1881-2021 mit 1,7 °C in etwa dem jährlichen linearen ⁠Trend⁠. Der Temperaturanstieg für den Frühling und den Herbst liegt bei 1,6 °C. Die Temperaturen im Winter sind um 1,9 °C gestiegen. Speziell die Sommer seit 1997 waren besonders warm.“11

Weltwetterorganisation (WMO) und EU-Klimawandeldienste Copernicus gehen nach Frankfurter Rundschau vom 30.6.2023 sogar von 2,3 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt aus.

Es muss uns klar werden, dass Deutschland in der Klimakatastrophe angekommen ist, oder die Welt sogar in der Apokalypse wie der Philosoph Slavoj Zizek in der Frankfurter Rundschau feststellte. Er zitiert Peter Sloterdijk aus seiner ‚Kritik der zynischen Vernunft‘: „Sie wissen sehr gut, was sie da anstellen, und tun es trotzdem.“ Er schlägt als Konsequenz ein Paradox vor: „die richtige Vorgehensweise, um der Apokalypse zu begegnen, ist nicht die, zu sagen, wir haben immer noch die Wahl zu entscheiden, sondern dass man die Apokalypse als Tatsache akzeptiert, in dem Sinne, dass wir verloren sind, wenn wir nur zuschauen und abwarten. Wir sollten also handeln.“12

Das wollten wir nicht, nur zuschauen und abwarten. Wir wollten handeln.


Text: Herbert Debus
Foto: Gerhart Thallmayer

 

1 Stellungnahme zur Magistratsvorlage Klassikertreffen vom 16.1.2023
2 Verwaltungsgericht Darmstadt bom 20.6.20236L1446/23.DA, Blatt 11 der Urteilsbegründung
3 Bewertung des Urteils u. Philipp-Gerlach, 21.6.2023
4 S.o. 1
5 S.o.1
6 Philipp-gerlach, S.2
7 Mainspitze
8 Mit einer Erwärmung von 0,5 Grad pro Jahrzehnt hat sich Europa in den letzten 30 Jahren deutlich schneller erwärmt als der Rest der Welt. Durch die massive Gletscherschmelze sind die Alpen damit weltweit eine der am stärksten vom Klimawandel betroffene Region. … damit mehr als doppelt so stark wie das globale Mittel WetterOnline: www.google.com/search
9 www.zdf.de/nachrichten/panorama/klimakrise-sommer-2022-europa-extrem-100.html
10 www.eea.europa.eu/de/signale/eua-signale-2019/artikel/boden-land-und-klimawandel
11 www.google.com/search
12 Erstellt FR 16.6.2023, 15,42 Uhr: www.fr.de/kultur/gesellschaft/slavoj-zizek-wir-sind-bereits-mitten-in-der-apokalypse-92346380.html

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